‚Privilegierter Hochverräter. Trost der Literatur. Biographie und Geschichte.’ Mit diesen Stichworten überschreibt die Historikerin Prof. Dr. Anne C. Nagel das Eingangskapitel ihres 2015 erschienenen Buches über eine Persönlichkeit des deutschen Widerstands gegen Hitler: Johannes Popitz, der am 2. Februar 1945 von den Nationalsozialisten wegen Hochverrats gemeinsam mit Carl- Friedrich Goerdeler und dem katholischen Geistlichen Alfred Delp in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurde. Schon in dieser Überschrift wird deutlich, dass die Autorin das Leben des Mannes, an den in Berlin/ Mitte am Gebäude des ehemaligen preußischen Finanzministeriums, das er von 1933 bis 1944 leitete, eine Gedenktafel erinnert, in seiner ganzen Vielfalt und Widersprüchlichkeit in den Blick nehmen möchte. Sie ist dabei weit entfernt von einer Glorifizierung eines Menschen aufgrund seiner letzlich bewundernwert mutigen Haltung gegenüber dem Hitler-Regime.

2016-11-06-11-01-42Unter dem Titel ‚Görings Finanzminister und Verschwörer gegen Hitler: Johannes Popitz (1884-1945)’ stellte die am historischen Institut der Justus-Liebig-Universität Gießen arbeitende Geschichtswissenschaftlerin und Autorin nun ihre Arbeit am 18.11.2016 auch einem sehr interessierten und diskussionsfreudigen Publikum im Antiquariat Buchbasalt in Alsfeld vor.

Mit Hilfe einiger Sequenzen aus ihrem Buch skizzierte sie in einem lebendigen Vortrag das Bild eines facettenreichen Lebens, das 1884 in einfachen bürgerlichen Verhältnissen in der aufstrebenden Stadt Leipzig begann. Den Zuhörern öffnete die Referentin im Zusammenhang mit der persönlichen Lebensgeschichte des Menschen Johannes Popitz  zugleich den Blick in die Welt dreier unterschiedlicher Epochen deutscher Geschichte zwischen 1880 und 1945.

So schilderte sie beispielsweise die Situation des früh vaterlos gewordenen Johannes als gehorsamen Enkel im Hause seines autoritären Großvaters und angesehenen Landgerichtspräsidenten von Dessau, oder die des strebsamen und erfolgreichen Studenten an der iuristischen Fakultät der Universität in Lausanne zur Zeit des prosperierenden deutschen Kaiserreichs; sie gab einen Einblick in die Welt der sogenannten ‚Gesellschaften’ und ‚Klubs’, in denen schon zur Kaiserzeit, aber dann auch besonders im Berlin der Weimarer Republik, Männer aus dem großbürgerlichen Milieu, zu dem Popitz als Spitzenbeamter gehörte, über Staat und Politik zu debattieren pflegten; und sie nahm die komplexe Lage im Zentrum der Macht des nationalsozialistischen Deutschlands in den Blick, in dem Popitz als preußischer Finanzminister erfolgreich agierte, während er zugleich – spätestens nach dem 9. November 1938 – konspirativ  Pläne für eine Ablösung Hitlers und für eine konservativ-monarchische Ordnung danach schmiedete.

Verwunderung beim fachkundigen Publikum rief die Schilderung der engen Freundschaft von Johnnes Popitz mit Carl Schmitt, dem wohl bekanntesten, aber auch umstrittensten Staats- und Völkerrechtler des 20. Jahrhunderts, hervor, zweier Menschen, die in Charakter und Lebensweise unterschiedlicher nicht sein konnten. Kritisch hinterfragt wurde zudem Popitz‘ Haltung zu Hermann Göring, in dem er zeitweise eine Alternative zu Hitler sah.

Bereitwillig ging die Referentin auf alle Fragen ein und ermöglichte einen intensiven Meinungsaustausch unter den Anwesenden. Auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei, antwortete sie skeptisch. Zwar sei es wichtig, möglichst umfassend über den Verlauf der Geschichte informiert zu sein. Der Mensch müsse wissen, woher er kommt und warum die Welt um ihn herum so und nicht anders ist. Aber jede Zeit besitze ihre eigenen Probleme und Herausforderungen, die auch nur aus der Zeit heraus gelöst bzw. bewältigt werden könnten. Dass eine Kulturnation wie Deutschland Hitler und seiner „Bewegung“ 1933 auf den Leim gegangen sei, gehöre für sie nach wie vor zu den Rätseln der Geschichte. Gebildete Menschen wie Johannes Popitz sind den Weg in die Katastrophe mitgegangen und haben das „Dritte Reich“ mitgetragen. Auch sie waren nicht immun gegen die falschen Verheißungen Hitlers.

Ihren Vortrag beendete die Historikerin mit Gedanken aus ihrem Buch zur Bedeutung Goethes für Johannes Popitz. Dieser bewunderte den Dichter und Weimarer Minister als vorbildlichen Menschen, dem es gelungen sei, „das Leben schlechthin auf sich zu nehmen und durchzuhalten“. In einem Brief aus dem Hausgefängnis der Gestapo im November 1944 legte der zum Tod verurteilte Vater seinem an der Ostfront kämpfenden Sohn die im Roman Wilhelm Meister entfaltete Weisung Goethes nahe, über alle Anfechtungen hinweg, das „Leben zu leben, wie es ist und was auch kommt“.

Popitz selbst habe sich, so die Referentin, entsprechend dieser existentiellen Weltsicht Goethes in ruhiger Gefaßtheit seinem Schicksal gefügt. Er sei für den Staat gestorben, dessen reale und ideale Gestalt zu retten, sein wichtigstes Ziel gewesen sei.

 

 

 

Written by Aegidius