Wiederentdeckung eines rätselhaften Dichters.

Piano-Klänge erhellten am frühen Samstagabend die heimeligen Räume des Antiquariats Buchbasalt. Ein wenig schienen sie den Frühling in den Noten zu haben, die Eigenkompositionen von Kathrin Landwehr.

kathrinDie Pianistin begleitete die Lesung von Meta Perschel, die wiederum Aegidius Kluth vom Alsfelder Literaturbrunnen voller Vorfreude ankündigte. Zahlreiche Gäste freuten sich mit ihm, als er von seiner Idee berichtete, den Dichter Friedrich Hölderlin zum Thema eines ganzen Abends zu machen und diesen unter das Motto „Wandeln im Frühling“ zu stellen. „Wandeln“ sei nämlich zum einen der Wandel, die Verwandlung der Natur in dieser besonderen Jahreszeit, „wandeln ist aber auch das absichtslose, lustvolle, langsame Gehen“, erklärte er. Beim Wandeln durch das Antiquariat sei sein Blick auf Hölderlins Turmgedichte gefallen, und schnell sei man auf den Gedanken gekommen, die Alsfelder Künstlerin und Hölderlin-Liebhaberin Meta Perschel für eine Lesung zu begeistern.

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Schwer mag dies nicht gefallen sein, denn die Rezitatorin erwies sich nicht nur als Hölderlin-Liebhaberin, sondern auch als sehr versierte Kennerin des Dichters, um dessen geistige Umnachtung sich allerhand Mythen spannen. „Als Kennerin vielleicht, aber nicht im Sinne von Heidegger“, führte Perschel gutaufgelegt zunächst in die Biographie des Lyrikers ein, der, obwohl Zeitgenosse und mitunter auch Weggefährte von Goethe und Schiller, in seiner Bedeutung nie aus deren Schatten treten konnte und dessen Werk selbst versierten Literaturkennern nicht immer geläufig ist. Perschel sprach über Hölderlins unglückliche Lieben, seine verschiedenen Stellungen als Hauslehrer und die vielen Begegnungen mit den Größen seiner Zeit, darunter auch Ludwig Uhland, Georg Wilhelm Friedrich Hegel oder Johann Gottfried Herder. Auf den Weg zu den Turmgedichten machte sich Meta Perschel mit einigen vorhergehenden Werken Autors. „Hyperions Schicksalslied“, hatte sie ausgewählt, „Das Angenehme dieser Welt“ und das wohl bekannteste Werk „Hälfte des Lebens“. Kongenial spürte Kathrin Landwehr jeder Sequenz mit ihren Stücken nach – ein Abend mit Musik und Literatur nahm seinen Lauf…

1805 wird Hölderlin zum ersten Mal mit der Diagnose „Wahnsinn“ versehen. Ob es war, um sich selbst vor politischer Verfolgung zu schützen, wird in der Literaturgeschichte sowohl vermutet als auch widerlegt. Jedenfalls muss der Dichter sich bereits ein Jahr später in die Tübinger Universitätsklinik begeben und sich dort unter Zwang den zweifelhaften Methoden gegen seine Geisteskrankheit aussetzen. Er gilt als „unheilbar“, als er 1807 aus der Klinik entlassen und in die Familie des Tischlermeisters und Hölderlinliebhabers Zimmer aufgenommen wird. In einer Stube des umgebauten Stadtturms verbringt Hölderlin die zweite Hälfte seines Lebens. Inwieweit seine geistige Umnachtung ihn beeinträchtigt oder beflügelt, inwieweit sie echt oder gespielt ist oder nur phasenweise auftritt, bleibt umstritten. Teile seiner Turmgedichte jedenfalls unterschrieb der Dichter mit den selbstgewählten Pseudonymen „Buonarotti“ oder „Scardanelli“ und datierte sie aus jeder Zeit gefallen.

meta II

Meta Perschel hatte die Frühlingsgedichte unter den Turmgedichten ausgewählt. In ihrer Rezitation war es ihr wichtig, die Schwerelosigkeit dieser meist auch nur mit „Frühling“ überschriebenen Lyrik zu vermitteln. Sie las langsam, gab fast jedem einzelnen Wort Hölderlins Zeit, das Publikum zu erreichen. Als wunderschöne Zeilen, die dem Wandel, dem Neuen, dem Frischen des Frühlings Ausdruck verleihen, präsentierten sich die Gedichte Hölderlins. Keine Spur von Wahnsinn war darin zu erkennen. Nur die Freude an dem neuen Werden.

Am Ende dieses Abends hinterließ Meta Perschel im Antiquariat ein beeindrucktes Publikum, das sich den Werke Hölderlins sicher in der einen oder anderen Weise nähern wird. Eine Neu- oder Wiederentdeckung eines Dichters, der dennoch rätselhaft bleiben wird.

(Traudi Schmitt, Alsfeld)

Written by Aegidius